Das Fluorelastomer FPM: Der universelle Kunststoff

Hohe Strapazierfähigkeit und Elastizität lassen sich nicht unter einen Hut bringen? Weit gefehlt! Mit Fluorkautschuken existiert eine ganze Gruppe von Kautschuken, die diesen Anforderungen genügt: Chemische und thermische Beständigkeit sowie elastische Verformbarkeit. Werfen wir einen Blick auf die Geschichte, die Struktur, die Eigenschaften und die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten von Fluorelastomeren.

Die Geburtsstunde der Fluorelastomere

Fluorhaltige Kunststoffe fanden vor allem durch die Entwicklung von Polytetrafluoethylen (PTFE) Ende der 1930er Jahre zu ihrer heutigen Bedeutung. Die ausgesprochen hohe Beständigkeit gegenüber Hitze und Chemikalien machen das Polymer zur unangefochtenen Nummer 1 in dieser Kategorie.

FPM-O-Ringe metrisch FPM-O-Ringe Standard zoellig

Eine eierlegende Wollmilchsau ist PTFE jedoch nicht: Als thermoplastischer Werkstoff lassen gerade seine mechanischen Eigenschaften zu wünschen übrig, namentlich seine Inelastizität. Die geringe Flexibilität führt beispielsweise bei Chemieschläuchen dazu, dass keine starken Krümmungen möglich sind. Viel gravierender fallen die Unzulänglichkeiten von PTFE unter mechanischer Belastung auf, denn es beginnt bereits bei geringem Druck zu fließen. Sein Einsatz als Material für Dichtungen (z.B. in Rundschnüren, O-Ringen oder Flachdichtungen) ist daher recht beschränkt. Fluorelastomere sollten diese Defizite beseitigen.

20 Jahre nach der Entdeckung von PTFE gelang DuPont mit Viton® als erstem Fluorkautschuk ein weiterer Paukenschlag in der Kunststoff-Synthese.

Dem Kind einen Namen geben

Zur Vereinheitlichung der in der Industrie, im Handel und bei Behörden verwendeten Kurzbezeichnungen für Kunststoffe werden die Kunststoff-Kurzzeichen genormt. Was passiert, wenn zwei unterschiedliche Institutionen dieser Aufgabe nachgehen, zeigt die Geschichte der Fluorkautschuke: So bezeichnete die ASTM International (American Society for Testing and Materials) die Fluorelastomere als „FKM”, während die DIN/ISO (Deutsches Institut für Normung/Internationale Organisation für Normung) zunächst von „FPM“ sprach, bevor sie den amerikanischen Standard übernahm. Mit der Einigung ist die frühere Bezeichnung nicht automatisch aus den Köpfen der Menschen verschwunden, so dass auch heute noch beide Kürzel verwendet werden, was manchmal zu Irritationen führen kann.

FPM-Chemieschlauch High Flexible 60 FPM-Schlauch stahldrahtumflochten

Unabhängig davon, welche Kurzbezeichnung man verwendet, sollte man sich allerdings im Klaren sein, dass man nicht ein eindeutig definiertes Produkt bezeichnet, sondern eine ganze Kunststoff-Familie benennt. „Viton®“ ist die Bezeichnung lediglich eines Vertreters dieser Familie. Weitere Vertreter finden sich unter den Handelsnamen DAI-EL® (Daikin Industries Ltd.), Tecnoflon® (Solvay S.A.), Dyneon® (3M) und THOMAFLUOR (Reichelt Chemietechnik).

Strukturelle Vielfalt

Bei den Fluorelastomeren handelt es sich um Mischpolymerisate, d.h. sie sind aus mehr als einer Monomer-Art entstanden. Die Basis bildet in allen Fällen Vinylidenfluorid. Mit der Verwendung von einer weiteren Monomer-Art entstehen „Co-Polymere“, bei Verwendung zweier weiterer Monomer-Arten spricht man von „Ter-Polymeren“, und schließlich ergeben sich „Tetra-Polymere“ bei Einsatz von drei weiteren Monomer-Arten.

Rechteckprofil aus FPM Rundschnur aus FPM

Typische Co-Komponenten sind Hexafluorpropylen, Tetrafluorethylen, 1-Hydropentafluorpropylen und Perfluormethylvinylether. Mit der Möglichkeit unterschiedlicher Vernetzungssysteme (diaminisch, bisphenolisch, peroxidisch) ergibt sich eine schier unendliche Zusammensetzungsvariation, die eine weitere Anpassung an das Anwendungsgebiet des Werkstoffs erlaubt.

Eigenschaften

Auch wenn Fluorelastomere keine eindeutige Zusammensetzung haben, verfügen sie über zwei wesentliche Gemeinsamkeiten: Eine beachtliche chemische Stabilität gepaart mit einer hohen Temperaturbeständigkeit. Ursächlich hierfür ist die enorme Bindungsstärke der Kohlenstoff-Fluor-Bindung im Vergleich zur Kohlenstoff-Wasserstoff-Bindung. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die thermische und chemische Beständigkeit mit steigendem Fluor-Gehalt wächst. So verkraften Standardtypen Dauertemperaturen von 200 °C problemlos, halten aber auch kurzzeitigen Temperaturspitzen von bis zu 230 °C zerstörungsfrei stand. Im unteren Temperaturbereich sind durchschnittliche Fluorelastomere nur bis etwa -20 °C stabil, auch wenn spezielle kälteflexible FKM-Typen bis ‑35 °C geeignet sein können.

FPM-Flachdichtungen

Die chemische Inertheit des nichtbrennbaren Materials zeigt sich in seiner Witterungs- und Ozonbeständigkeit, aber auch im Kontakt mit unpolaren Lösungsmitteln wie z.B. aliphatischen und aromatischen Kohlenwasserstoffen. Kraftstoffe, Mineralöle und Fette werden genauso wie konzentrierte anorganische Säuren (Salzsäure, Schwefelsäure, Salpetersäure) toleriert. Jedoch stellen Ketone wie z.B. Aceton, andere polare Lösungsmittel, Bremsflüssigkeiten auf Glykoletherbasis, Natronlauge, und Essigsäure ein No-Go für Fluorelastomere dar.

Vorsicht ist auch bei Heißwasser/Dampf, Aminen und Alkoholen geboten: Konventionelle Fluorkautschuke vertragen diese Medien nicht, aber es existieren auch kompatible Varianten.

Vielseitige Verwendungsmöglichkeiten

Das ursprüngliche Anwendungsfeld von Fluorelastomeren war Dichtungsmaterial für die Luft- und Raumfahrt, und aus diesen Sektoren ist es heute auch nicht mehr wegzudenken. Gerade wegen seiner Zuverlässigkeit unter den extremen Bedingungen genießt es einen hervorragenden Ruf beim Einsatz in Dichtungen – egal ob in Form von O-Ringen, Flachdichtungen oder Rundschnüren.

Moosgummi-Platte aus FPM Moosgummi-Rundschnur aus FPM

Mit (schneid- und stanzbaren) Moosgummi-Platten können ganze Behälter, Geräte und Anlagen abgedichtet oder thermisch isoliert werden, wenn zusätzlich eine hohe Lebensdauer und Verformbarkeit verlangt werden. Darüber hinaus sind seine hervorragende Hitze- und Chemikalienbeständigkeit geradezu prädestiniert dafür, in Kunststoffschläuchen Verwendung zu finden.

FPM-Peristaltik-Pumpenschlauch High Precision 55 FPM-Pumpenschlauch zoellig

Tatsächlich wird er für Kraftstoffschläuche, Pumpenschläuche und chemikalienbeständige Universalschläuche eingesetzt. Bei der Förderung aggressiver Medien muss sich der Chemieschlauch nicht auf Flüssigkeiten beschränken, denn seine geringe Gasdurchlässigkeit erlaubt auch den Transport von ätzenden Gasen wie z.B. Chlorwasserstoff, Chlor oder Ozon.

FEP-ummantelte-FPM-O-Ringe FPM-O-Ringe zoellig

Auch für Chemikalienschutzhandschuhe wird der Kunststoff verwendet. Besonders bei Umgang mit aggressiven Medien, sowie bei Reinigungs- und Dekontaminationsarbeiten mit gefährlichen Substanzen wird seine hohe Dichtigkeit, Chemikalien- und Altersbeständigkeit geschätzt.

Mögliche Alternativen zu Fluorelastomeren

Die Auswahl des richtigen Werkstoffs richtet sich immer auch nach den Anforderungen, die er erfüllen muss. Als universeller Kunststoff genügen FKM-Elastomere vielen Anforderungen, schießen aber auch bei einigen Anwendungen über das Ziel hinaus. Ein Blick auf andere Kunststoffe, die ähnliche Anwendungsfelder abstecken, ist also immer ratsam. So stellen Kunststoffschläuche aus Ethylen-Propylen-Dien-Kautschuke (EPDM) eine günstigere Alternative zu FPM-Schläuchen dar.

EPDM-Dampf- und Heisswasserschlauch EPDM-Industrieschlauch

Sie können zwar nicht mit der Temperaturverträglichkeit von Fluorkautschuken mithalten, verfügen aber auch über eine exzellente chemische Beständigkeit. Bei extrem aggressiven Medien können in seltenen Fällen aber auch Bedingungen vorliegen, denen selbst eine FPM-Dichtung bzw. ein FPM Chemieschlauch nicht gewachsen sind.

FFKM-O-Ringe Food metrisch FFKM-O-Ringe hochtemperaturgeeignet

Eine noch höhere chemische und thermische Stabilität bei gleichbleibender Elastizität können dann nur noch Perfluorkautschuke (FFKM) liefern. Da man für dieses Hightech-Polymer aber auch tiefer in die Tasche greifen muss, ist sein Einsatz auf Fälle reduziert, in denen extreme Sicherheitsstandards gelten oder hohe Wartungs- bzw. Störfallkosten den Einsatz rechtfertigen.

Über Dr. Karl-Heinz Heise

Dr. Karl-Heinz Heise studierte an der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg Chemie und der vormaligen Technischen Hochschule Dresden Radiochemie und Chemische Kerntechnik. Danach war er bis zur politischen Wende 1989 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Kernforschung Rossendorf (ZfK) der Akademie der Wissenschaften in verschiedenen Bereichen der Isotopenproduktion und Markierungschemie tätig. 1990 wurde er im neu gegründeten Leibnitz-Forschungszentrum Dresden - Rossendorf, dem heutigen Helmholtz-Zentrum, mit der Leitung der Abteilung für Organische Tracerchemie des Instituts für Radiochemie betraut, die sich mit umweltchemischen Prozessen in den Hinterlassenschaften des Uranbergbaus der DDR befasste. Dr. Heise ist begeisterter Hobby-Numismatiker und beschäftigt sich dabei vornehmlich mit der höfischen Medaillenkunst des 19. Jahrhunderts in Sachsen.